Hannover. Prälat Prof. Felix Bernard ist als Leiter des katholischen Büros in Hannover für die Verbindungen der katholischen Kirche in Niedersachen zur Landespolitik zuständig. Hier erklärt er, wieviel Christentum im Grundgesetz steckt und sagt auch, was sein Lieblingsartikel ist.
Die Bundesrepublik feiert am 23. Mai 75 Jahre Grundgesetz – warum feiern die Kirchen mit?
Felix Bernard: Ich möchte dafür vor allem zwei Gründe nennen. Zum einen enthält das Grundgesetz mehrere Artikel aus der Weimarer Reichsverfassung, die den Religionsgemeinschaften und somit auch den Kirchen verschiedene Rechte einräumen, so zum Beispiel ein Selbstverwaltungsrecht und die Möglichkeit, Körperschaften des öffentlichen Rechts zu werden. Auch wenn die Kirchen nicht eigens genannt werden, sind sie doch eng mit dem Grundgesetz verbunden. Zum anderen setzen sich die Kirchen für die freiheitlich-demokratische Verfassung unseres Staates ein, besonders für den Schutz der Menschenwürde und der Grundrechte.
Das Grundgesetz ist die Verfassung für einen säkularen Staat – aber steckt nicht auch etwas Christentum drin?
Bernard: Ja, am deutlichsten wird das durch den Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes, wo es heißt: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben.“ Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren größtenteils Christen und stellten sich einen christlichen Gott vor. Es handelt sich in der Präambel aber um einen offenen Gottesbegriff, der Gott zwar nennt, aber nicht anruft. Der Gottesbezug soll die Menschen vor Hybris, Machtmissbrauch und Menschenverachtung bewahren.
Auch Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Unantastbarkeit der Würde des Menschen herausstellt, basiert auf christlichen Wurzeln. Zum einen steht dahinter der theologische Gedanke, dass der Mensch als Ebenbild Gottes unantastbar ist. Zum anderen identifiziert sich Gott so sehr mit den Menschen, dass er selbst Mensch wurde. Daher hat der Mensch eine unveräußerliche Würde, die ihm andere Menschen nicht absprechen können.
Ein weiteres Beispiel für christliche Spuren im Grundgesetz ist Artikel 2, der grundsätzlich das Lebensrecht von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod schützt.
Welcher ist Ihr Lieblingsartikel im Grundgesetz?
Bernard: Artikel 19, der am Schluss des Grundrechtskataloges im Grundgesetz steht. Dort heißt es: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ In keinem Fall – das heißt: auch nicht in katastrophalen Zeiten. Denn zum Besten, was den Deutschen in ihrer langen Geschichte widerfahren ist, gehören die Grundrechte, wie zum Beispiel der Schutz der Menschenwürde, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gewissens- und Religionsfreiheit. Grundrechte sind keine Belohnung und keine Gratifikation. Sie stehen jedem Menschen zu. Sie gelten unabhängig vom Alter, vom Einkommen, von Rang und Hautfarbe, von Gesundheitszustand und Bildungsgrad.